Die chemischen Tricks der Tiere und Pflanzen

2 September 2020
2 September 2020

Lebewesen nutzen im täglichen Überlebenskampf vielfältige chemische Tricks, die weit über die naheliegende Assoziation von Jagd- und Verteidigungsgiften hinausgehen. Lassen Sie sich von unseren Protagonisten – von A wie Ameisen bis W wie Wasserbock – ihre chemisch-physikalischen Kunstgriffe vorführen.

Inhaltsverzeichnis

Wenn Fressen nicht mehr satt macht: Chemische Tricks der Tiere und Pflanzen

Wenn Fressen nicht mehr satt macht

Käfer und Schmetterlingsraupen können ganze Pflanzen kahlfressen. Doch viele Pflanzen wehren sich, etwa indem sie die Verdauung der Fressfeinde hemmen. Die Süßkartoffel produziert ein flüchtiges Homoterpen, um ihre Nachbarn vor gefräßigen Insekten zu warnen und dazu anzuregen, die Verteidigung anzuwerfen.

Ein Krebs macht blau: Chemische Tricks der Tiere und Pflanzen

Ein Krebs macht blau

Ruderfußkrebse sind ein wichtiger Bestandteil der marinen Nahrungskette. Sie ernähren sich von Algen, die sie vor allem in der Grenzschicht zwischen Wasser und Luft finden. Ihr blauer Farbstoff schützt sie vor der dort herrschenden starken UV-Strahlung und macht sie für Fressfeinde fast unsichtbar.

Eine Heizdecke für Pilze: Chemische Tricks der Tiere und Pflanzen

Eine Heizdecke für Pilze

Dunkle Farben absorbieren mehr Sonnenstrahlung als helle. Das nutzen viele wechselwarme Tiere, um sich schneller aufzuwärmen. Pilze scheinen da keine Ausnahme zu sein. Je kälter die Gegend, desto mehr Melanin bilden sie in ihren Fruchtkörpern und erhöhen so ihren Fortpflanzungserfolg.

Minimalist in der Baumkrone: Chemische Tricks der Tiere und Pflanzen

Minimalist in der Baumkrone

Das Gift der Gelbbauchschnupfenschlange enthält nur wenige Toxine. Trotzdem kann die Schlange damit so verschiedene Beutetiere wie Eidechsen und Mäuse töten. Verantwortlich hierfür sind zwei Vertreter einer Proteinfamilie, die sich nur geringfügig unterscheiden und doch beutespezifisch wirken.

Auf der grünen Insel: Chemische Tricks der Tiere und Pflanzen

Auf der grünen Insel

Um Fressfeinde abzuwehren, lassen viele Pflanzen ihre Blätter gezielt verwelken. Diesen Verteidigungsmechanismus können Insekten aushebeln, indem sie selbst Pflanzenhormone bilden und der Pflanze verabreichen. So bleiben die Blätter grün und schmackhaft.

Manche mögen's heiß!
Chemische Tricks der Tiere und Pflanzen

Manche mögen's heiß!

Manche Pflanzen nutzen Feuer zur Verbreitung ihrer Samen. Dazu gehören die australischen Banksien, deren hölzerne Samenstände sich erst bei einem Buschbrand öffnen. Risse und Spalten, die sich mit der Zeit bilden, werden durch Wachse versiegelt, die an heißen Sommertagen schmelzen. Auf diese Weise können die reifen Samen über Jahre sicher aufbewahrt werden – bis zum nächsten Feuer.

Auf den Leim gegangen: Chemische Tricks der Tiere und Pflanzen

Auf den Leim gegangen

Stummelfüßer fangen ihre Beute mit Hilfe eines klebrigen Schleims, den sie aus zwei seitlichen Kopfdrüsen abschießen (Abbildung 1). Durch das Zappeln des Opfers entsteht aus dem ehemals flüssigen Sekret ein starres Geflecht mit der Steifigkeit von Nylon®. Dieses lässt sich in Wasser wieder in seine Einzelteile auflösen, die wiederverwertet werden können. Ein Vorbild für die industrielle Synthese von nachhaltig nutzbaren Polymeren?

In der Maske des Wasserbocks: Chemische Tricks der Tiere und Pflanzen

In der Maske des Wasserbocks

Parasitische Einzeller der Gattung Trypanosoma verursachen vor allem in den Tropen schwere Erkrankungen bei Mensch und Tier. Übertragen werden sie durch den Stich einer infizierten Tsetsefliege. Während Rinder zur bevorzugten Beute der blutsaugenden Insekten zählen, macht sich der Ellipsen-Wasserbock (Abbildung 1) durch seinen besonderen Duft ausgesprochen unattraktiv. Dieses „Parfum“ nutzen afrikanische Bauern inzwischen, um auch ihre Rinder vor einer Infektion zu schützen.

Betrügerische Pfeifen: Chemische Tricks der Tiere und Pflanzen

Betrügerische Pfeifen

Blütenpflanzen und ihre Bestäuber sind ein optimal aufeinander abgestimmtes Team, in dem beide voneinander profitieren. Betrüger wie die Pfeifenblumen stellen hier eine Ausnahme dar. Sie nutzen die Bestäuberleistung, bieten aber keinen Nektar als Belohnung an. Stattdessen locken sie die Insekten mit raffinierten – und manchmal recht makabren – chemischen Tricks zur Blüte.

Meister der Selbstverteidigung: Chemische Tricks der Tiere und Pflanzen

Meister der Selbstverteidigung

Der Stich des Mandschurei-Skorpions löst an der Einstichstelle starke Schmerzen aus und setzt so dessen Feinde schachmatt. Die Schmerzen erzeugt ein Peptidtoxin, das an einen Schmerzrezeptor bindet und dabei synergistisch mit Protonen aus dem sauren Giftcocktail wirkt. Auf diese Weise wird der Schmerzrezeptor so stark aktiviert, wie es sonst nur durch eine extreme Ansäuerung des Gewebes zu erreichen wäre.

Fresst Euch doch selbst: Chemische Tricks der Tiere und Pflanzen

Fresst Euch doch selbst

Tomatenpflanzen werden von den Raupen der Zuckerrübeneule innerhalb kurzer Zeit kahl gefressen. Um dies zu verhindern, produzieren die Pflanzen Substanzen, die die Blätter für die Raupen ungenießbar machen. Infolgedessen verspeisen sich die hungrigen Insekten gegenseitig. Das reduziert nicht nur die Raupenpopulation, sondern sättigt die überlebenden Kannibalen auch noch, so dass sie kein Interesse mehr an der Pflanzennahrung zeigen.

Ein Enzym für alle Fälle: Pilze als Synthesekünstler

Ein Enzym für alle Fälle

Fruchtkörper von Ständerpilzen werden häufig Opfer von gefräßigen Insektenlarven. Dagegen verteidigen sie sich durch die Bildung von bioaktiven Substanzen. Hierzu gehören zwei unterschiedlich lange, verzweigtkettige Polyene, die der Schichtpilz BY1 als Reaktion auf eine Verletzung herstellt. Katalysiert wird ihre Synthese über eine einzige, neu entdeckte Polyketidsynthase, die dabei acht bzw. neun Doppelbindungen verschieben muss.

Rettung auf sechs Beinen: Chemische Tricks der Tiere und Pflanzen

Rettung auf sechs Beinen

Ameisen der Art Megaponera analis gehen in größeren Gruppen auf die Jagd nach Termiten. Dabei werden einzelne Tiere häufig durch die wehrhafte Beute verwundet. Diese Jäger senden daraufhin einen chemischen Hilferuf aus, der einen arteigenen Sanitätsdienst auf den Plan ruft. Indem dieser die verletzten Artgenossen zurück ins Nest trägt, hilft er, die Verluste der Kolonie gering zu halten.

Bakterieller „Leibwächter“
Antibakterielle Peptide

Bakterieller „Leibwächter“

In einer von Mikroorganismen dominierten Umwelt ist die Raupe der Afrikanischen Baumwolleule einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt. Ein Bakterium ihrer eigenen Darmflora schützt sie davor, indem es mit Hilfe eines Antibiotikums gezielt pathogene Darmbakterien tötet, nützliche dagegen verschont. Das antibakterielle Peptid schädigt die Integrität der Bakterienzelle, indem es Poren in der Zellmembran bildet.

Ein Parfum mit Hintergedanken: Chemische Tricks der Tiere und Pflanzen

Ein Parfum mit Hintergedanken

Pflanzen, die von einem tierischen Bestäuber abhängen, locken diesen oft mit chemischen Duftstoffen an. Der Kojotentabak wird dabei von seinem Bestäuber vor ein Dilemma gestellt, denn dessen Larven ernähren sich von den Blättern der Tabakpflanze. Diese hat im Sesquiterpen (E)-α-Bergamoten ein Mittel gefunden, den Bestäuber zum Verweilen an der Blüte zu motivieren und gleichzeitig die gefräßigen Larven zu vertreiben.

Ein blaues Wunder für Fressfeinde: Chemische Tricks der Tiere und Pflanzen

Ein blaues Wunder für Fressfeinde

Einige Insekten und Tausendfüßer verteidigen sich mit Hilfe von Blausäure gegen Fressfeinde. Dies ist eine Herausforderung für die Produzenten, weil sie sich selbst gegen den flüchtigen und potenten Hemmstoff der Atmungskette schützen müssen. Kürzlich wurde die Fähigkeit, Blausäure zur Verteidigung zu nutzen, erstmals auch bei einem Spinnentier gefunden. Die heimische Hornmilbenart schützt sich dabei durch die Produktion einer in wasserfreier Umgebung stabilen Speicherform, aus der das Gift im Speichel eines Angreifers schnell freigesetzt wird.

Futtersuche im Blitzlichtgewitter: Chemische Tricks der Tiere und Pflanzen

Futtersuche im Blitzlichtgewitter

Blitzlichtfische suchen nachts nach Nahrung und beleuchten dazu ihre Umgebung mit Hilfe von zwei Leuchtorganen unter den Augen. Darin befinden sich symbiontische Leuchtbakterien, die als Nebenprodukt einer Oxidation blau-grünes Licht aussenden.

Schneller als der Arzt erlaubt

Schneller als der Arzt erlaubt

Kegelschnecken [1] lähmen ihre Beutetiere mit Hilfe eines Giftcocktails. Bei den Fische jagenden Landkartenkegelschnecken enthält dieser Insulin, das einen plötzlichen Blutzuckerabfall der Beute verursacht. Im Vergleich zu menschlichem Insulin ist das Schneckeninsulin extrem schnell wirksam, und könnte somit als Leitmolekül für ein neues Diabetespräparat dienen.

Surfer im Käfergewand: Chemische Tricks der Tiere und Pflanzen

Surfer im Käfergewand

Bei der Beutejagd fällt der Komma-Schmalräuber (Stenus comma) manchmal ins Wasser. Um den dort lauernden Feinden zu entkommen, scheidet er am Hinterleib Alkaloide aus, die die Oberflächenspannung des Wassers herabsetzen. Dies induziert einen Oberflächendruck, der den Käfer Richtung Ufer treibt. Zusätzlich erschwert das zähflüssige Verhalten des Alkaloidfilms seine Verfolgung.