Perspektiven der Makromolekularen Chemie
Die Makromolekulare Chemie hat im Jahre 2020 ihr 100-jähriges Jubiläum gefeiert, denn vor 100 Jahren wurde die Existenz der langen kovalenten Ketten, sogenannten Makromolekülen, von Hermann Staudinger postuliert. Seitdem wurde die Existenz von Makromolekülen nicht nur bewiesen, sondern das Verständnis und die Verwendung von Makromolekülen als Polymere infolgedessen wissenschaftlich weiterentwickelt. Mehrere Nobelpreise in Chemie und Physik zeugen von dieser ungemeinen Dynamik.
Die Erkenntnisse der Polymerchemie sind ein wesentlicher Innovationstreiber in vielen Bereichen
Daraus hat sich eine enorme industrielle Entwicklung ergeben, die sich in allen Bereichen des Lebens heute technisch unersetzlich zeigt. Es hat aber auch viele Bereiche der Medizin und Biologie stimuliert und moderne Therapien direkt oder indirekt ermöglicht. Die aktuellen Beiträge zur COVID-Pandemie sowohl aus kunststofftechnologischer Sicht als auch im Hinblick auf die derzeitig angewandten Impfsysteme sind ein gutes Beispiel hierfür. Die heutige Protein- und Nukleotid-Biochemie ist gegründet auf den chemisch-physikalischen Erkenntnissen der makromolekularen Chemie. Die Erkenntnisse der Polymerchemie und Supramolekularen Chemie sind damit ein wesentlicher Innovationstreiber in vielen Bereichen der Naturwissenschaften und praktisch allen Bereichen unseres modernen Lebens geworden. Dabei sind die erarbeiteten Anwendungen von Polymeren heute so gut, dass wir deren Funktionsfähigkeit für selbstverständlich nehmen und nehmen dürfen.
Der enorme kommerzielle Erfolg von Kunststoffen hat mittlerweile eine klar erkennbare Kehrseite. Die enorme Progression des Kunststoffverbrauchs und die unklare Situation nach Nutzung des Kunststoffs erzeugen weltweit Müllberge und unsachgemäße Entsorgung oder Lagerung. Der sogenannte Plastikstrudel der Meere ist nur eines dieser sehr negativen Beispiele. Mikroplastik in der gesamten Biosphäre ist ein weiteres Thema.
Die Makromolekulare Wissenschaft ist somit für die Zukunft zwar Problemen ausgesetzt, bereitet aber gleichzeitig Lösungen. Synthesen der Zukunft müssen je nach Anwendungsfall die Selbstheilung der Polymerbauteile, die Desintegration von Verbundwerkstoffen und insbesondere der Makromoleküle selbst gleichermaßen in den Blick nehmen und technologische Lösungen daraus müssen eine Zirkularität ermöglichen. Bausteine der Zukunft werden zunehmend nicht nur die klassischen Petrochemischen Pfade, sondern vor allem auch stoffliche Recycling-Möglichkeiten sowie biobasierte Optionen berücksichtigen müssen. Für eine Überganszeit wird uns die Kreislaufwirtschaft für technische Kunststoffe helfen. Das Öl-Zeitalter wird auch in der Polymerchemie zumindest im industriellen Maßstab von neuen Ansätzen ergänzt und später abgelöst werden.
Chemisch ist heute schon vieles möglich. Ökonomisch tragbar ist dies in unserer heutigen Industrielandschaft und gesellschaftlichen Kostenbetrachtung jedoch nicht. Gesellschaftlich wird dies ein langer Weg werden, denn die Verknüpfung mit der Klimaerwärmung wird Druck auf die Makromolekulare Wissenschaft und die damit verbundene Industrie ausüben. Druck ist aber auch gleichzeitig eine Chance. Denn was kann unserer Wissenschaft 101 Jahre nach dem Start Besseres passieren als ein hohes gesellschaftliches Interesse, hoffentlich verbunden auch mit einer hohen Akzeptanz und Wertschätzung als Technologie für Problemlösungen der Zukunft.
Bausteine der Zukunft werden zunehmend Recycling-Möglichkeiten sowie biobasierte Optionen berücksichtigen müssen
In diesem Heft sind aktuelle Entwicklungen unterschiedlicher Bereiche zusammengetragen. Dies umfasst Entwicklungen bei Elastomeren und selbstheilenden Polymeren. Aber auch Aspekte der Kreislaufwirtschaft werden beleuchtet. Moderne Themen wie Kunststoffe und Corona, sowie Polymere in der Windkraft runden das Heft ab. Wir hoffen, dass dies eine spannende und bereichernde Lektüre für alle Leserinnen und Leser darstellt. Zu Guter Letzt, danken wir ganz besonders den Autorinnen und Autoren, die sich so vorbildlich um die Erstellung der Artikel gekümmert haben, denn uns allen liegt an der erfolgreichen Zukunft der Makromolekularen Wissenschaft!