Die Terminologie von Polymeren mit ionisierbaren oder ionischen Gruppen und von Polymeren, die Ionen enthalten†
Copyright© der englischen Fassung, die unter dem Titel “Terminology of Polymers Containing Ionizable Or Ionic Gruppen And Of Polymers Containing Ions” von M. Hess (Deutschland), R. G. Jones (Großbritannien), J. Kahovec (Tschechien), T. Kitayama (Japan), P. Kratochvíl (Tschechien), P. Kubisa (Polen), W. Mormann (Deutschland), R. F. T. Stepto (Großbritannien), D. Tabak (Brasilien), J. Vohlídal (Tschechien) und E. S. Wilks (USA) für die Veröffentlichung in Pure Appl. Chem. 2006, 78, 2067–2074 5 vorbereitet wurde: International Union of Pure and Applied Chemistry, 2006. – Wir danken der IUPAC für die Genehmigung zum Druck einer deutschen Fassung dieser Recommendation.
Abstract
Die gängigsten Begriffe auf dem Gebiet der Polymere mit ionisierbaren oder ionischen Gruppen und der Polymere, die Ionen enthalten, werden hier definiert, wobei ausschließlich organische Polymere berücksichtigt wurden.
Die Angewandte Chemie veröffentlicht Übersetzungen von Recommendations und Technical Reports der IUPAC, um die chemische Fachsprache im Deutschen zu fördern. Sauber definierte Begriffe und klare Nomenklaturregeln bilden die Basis für eine Verständigung zwischen den Wissenschaftlern einer Disziplin und sind für den Austausch zwischen Wissenschafts- und Fachsprache sowie Allgemeinsprache essenziell. Alle Übersetzungen werden von einem ausgewiesenen Experten (dem “Obmann”) geprüft, korrigiert und autorisiert. Empfehlungen von Themen und Obleuten sind willkommen.
Einleitung
Hier werden die gängigsten Begriffe auf dem Gebiet der Polymere mit ionisierbaren oder ionischen Gruppen und der Polymere, die Ionen enthalten, definiert, wobei ausschließlich organische Polymere berücksichtigt werden. Anorganische Materialien wie gewisse Phosphate oder Silicate, die ebenfalls als ionische Polymere interpretiert werden können, sind somit nicht Thema dieser Empfehlung. Nur Begriffe, die zweifelsfrei definiert werden konnten, wurden aufgenommen. Sie werden in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt, und Verweise auf Definitionen in anderen Empfehlungen werden gegeben. Begriffe, deren Definition sich an anderer Stelle in dieser Empfehlung findet, sind kursiv gedruckt.
1. Ampholytisches Polymer
Polyelektrolyt, der sich aus Makromolekülen zusammensetzt, die sowohl kationische als auch anionische Gruppen oder die entsprechenden ionisierbaren Gruppen enthalten.
Anmerkung: Ein ampholytisches Polymer, das entgegengesetzt geladene ionische Gruppen in den gleichen Seitenkettengruppen enthält, wird je nach der Struktur dieser Gruppen als zwitterionisches Polymer, polymeres inneres Salz oder Polybetain bezeichnet.
Synonym: Polyampholyt
2. Anionenaustauschpolymer
Siehe Ionenaustauschpolymer.
3. Anionisches Polymer
Polymer, das aus negativ geladenen Makromolekülen und einer äquivalenten Menge an Gegenkationen besteht.
Anmerkung 1: Wenn ein wesentlicher Teil der konstituierenden Einheiten negative Ladungen trägt, dann ist ein anionisches Polymer ein Polyelektrolyt.
Anmerkung 2: Die Bezeichnung anionisches Polymer sollte nicht für ein Polymer verwendet werden, das durch anionische Polymerisation erhalten wurde.
4. Dotiermittel
Ladungstransferagens, das verwendet wird, um durch Oxidation oder Reduktion positive bzw. negative Ladungen in einem intrinsisch leitenden Polymer zu erzeugen.
Anmerkung: Beispiele für oxidierende Agentien sind AsF5 und I2, die an den Ketten eines intrinsisch leitenden Polymers Radikalkationenzentren (so genannte Löcher) erzeugen, und für reduzierende Agentien eine Lösung von Naphthalinnatrium in Tetrahydrofuran, das entsprechend Radikalanionenzentren erzeugt.
5. Dotierung
Der Oxidations- oder Reduktionsprozess, der von einem Dotiermittel bewirkt wird.
6. Elektrisch leitendes Polymer
Polymeres Material mit elektrischer Volumenleitfähigkeit.
Anmerkung: Diese Definition ist identisch mit der Definition 3.2 in Lit. 1.
7. Halatopolymer
Siehe halato-telecheles Polymer.
8. Halato-telecheles Polymer
Polymer aus linearen Makromolekülen mit ionischen oder ionisierbaren Endgruppen.
Anmerkung 1: Der Begriff halato-telecheles Polymer wird für Polymere verwendet, die aus Makromolekülen mit stabilen (langlebigen) ionischen oder ionisierbaren Gruppen wie Carboxylat- oder quartären Ammoniumgruppen als Kettenenden bestehen. Er sollte nicht für Polymere verwendet werden, bei denen die Kettenenden der Makromoleküle Intermediate in einer durch difunktionelle Initiatoren ausgelösten ionischen Polymerisation sind.
Anmerkung 2: Der Begriff Halatopolymer wird für lineare Polymere verwendet, die durch das Kuppeln von halato-telechelen Polymermolekülen entstehen, beispielsweise für das lineare Polymer, das beim Kuppeln von Carboxylatendgruppen mit zweiwertigen Metallkationen entsteht.2
9. Intrinsisch leitendes Polymer
Elektrisch leitendes Polymer aus Makromolekülen mit vollständig durchkonjugierten Doppelbindungen entlang der Ketten.
Anmerkung 1: Die elektrische Volumenleitfähigkeit eines intrinsisch leitenden Polymers ähnelt der einiger Metalle und resultiert daraus, dass seine Makromoleküle durch die Oxidation durch einen Elektronenakzeptor bzw. die Reduktion durch einen Elektronendonor (Ladungstransferagens), Dotiermittel genannt, positiv bzw. negativ geladen werden.
Anmerkung 2: Beispiele für intrinsisch leitende Polymere sind Polyacetylen, Polythiophen, Polypyrrol und Polyanilin.
Anmerkung 3: Anders als bei Polymerelektrolyten, bei denen die Ladungen von gelösten Ionen transportiert werden, werden sie bei intrinsisch leitenden Polymeren entlang und zwischen den Polymermolekülen mithilfe erzeugter Ladungsträger (z. B. Löcher, Elektronen) transportiert.
Anmerkung 4: Ein intrinsisch leitendes Polymer sollte von einem leitenden Polymerkomposit und von einem polymeren Festelektrolyten unterschieden werden.
10. Ionenaustauschmembran
Siehe Ionenaustauschpolymer.
11. Ionenaustauschpolymer
Ein Polymer, das Ionen (Kationen oder Anionen) mit den ionischen Bestandteilen einer Lösung austauschen kann.
Anmerkung 1: Diese Definition ist identisch mit der Definition 2.2 in Lit. 1.
Anmerkung 2: Siehe Lit. 4 für Ionenaustausch.
Anmerkung 3: Je nachdem welches Ion ausgetauscht werden kann, wird das Polymer als Anionaustausch- oder Kationenaustauschpolymer bezeichnet.
Anmerkung 4: Ein Ionenaustauschpolymer in ionisierter Form kann auch als Polyanion oder Polykation bezeichnet werden.
Anmerkung 5: Synthetische organische Ionaustauschpolymere sind oft Polyelektrolytnetzwerke.
Anmerkung 6: Eine Membran, die Ionenaustauschgruppen enthält, wird Ionenaustauschmembran genannt.
Anmerkung 7: Von der Verwendung des Begriffs Ionenaustauschharz für Ionenaustauschpolymer wird nachdrücklich abgeraten.
12. Ionene
Polymere aus Makromolekülen mit ionisierten oder ionischen Gruppen als Teil der Hauptketten.
Anmerkung: Meist sind die ionischen Gruppen in Ionenen quartäre Ammoniumgruppen.
13. Ionenhaltiges Polymer
Siehe ionisches Polymer.
14. Ionische Aggregate in einem Ionomer
Bereiche innerhalb einer Ionomermatrix, die besonders viele ionische Gruppen enthalten.
15. Ionisches Polymer
Ein Polymer aus Makromolekülen mit ionischen oder ionisierbaren Gruppen oder auch beiden, unabhängig von deren Natur, Menge und Ortszuordnung.
Synonym: ionenhaltiges Polymer
16. Ionomer
Ein Polymer aus Makromolekülen, in denen ein kleiner, aber signifikanter Teil der Baueinheiten ionische oder ionisierbare Gruppen oder beide enthält.
Anmerkung 1: Diese Definition ist identisch mit der Definition 1.66 in Lit. 3.
Anmerkung 2: Die ionischen Gruppen sind meist in ausreichender Menge (typischerweise weniger als 10 % der Baueinheiten) vorhanden, um eine Mikrophasentrennung ionischer Domänen von der kontinuierlichen Polymerphase zu bewirken. Die ionischen Domänen fungieren als physikalische Vernetzungen.
17. Ionomer-Cluster
Ein ionisches Aggregat in einer wenig polaren Polymermatrix, das durch Wechselwirkung zwischen Ionomer-Multipletts entsteht.
Anmerkung 1: Die Beweglichkeit der Polymersegmente, die die Multipletts umgeben, ist gegenüber der des Volumenmaterials reduziert. Mit zunehmendem Ionenanteil nimmt die Zahlendichte der Ionomer-Multipletts zu, was zur Überlappung von Regionen mit eingeschränkter Mobilität um die Multipletts und zur Clusterbildung führt.
Anmerkung 2: Typischerweise hat ein Ionomer zwei Glasübergangstemperaturen (Tg), eine für die nichtpolare Matrix und die andere für die Cluster.
18. Ionomer-Multiplett
Ein ionisches Aggregat in einer wenig polaren Polymermatrix, das sich durch die Assoziation von Ionenpaaren in einem Ionomer bildet.
19. Kationenaustauschpolymer
Siehe Ionenaustauschpolymer.
20. Kationisches Polymer
Polymer, das aus positiv geladenen Makromolekülen und einer äquivalenten Menge an Gegenanionen besteht.
Anmerkung 1: Wenn ein wesentlicher Teil der konstituierenden Einheiten positive Ladungen trägt, dann ist ein kationisches Polymer ein Polyelektrolyt.
Anmerkung 2: Die positiven Ladungen können sich an Gruppen in der Hauptkette wie in Ionenen oder an Seitenkettengruppen befinden.
Anmerkung 3: Die Bezeichnung kationisches Polymer sollte nicht für ein Polymer verwendet werden, das durch kationische Polymerisation erhalten wurde.
21. Kritische Ionenkonzentration in einem Ionomer
Konzentration an ionischen Gruppen in einer Ionomermatrix, oberhalb der ionische Aggregation erfolgt.
22. Leitendes Polymerkomposit
Elektrisch leitendes Komposit aus einer nichtleitenden Polymermatrix und einem elektrisch leitenden Material.
Anmerkung: Beispiele für elektrisch leitende Materialien sind Ruß und Metallpartikel.
Siehe auch polymerer Festelektrolyt.
23. Polyampholyt
Siehe ampholytisches Polymer.
24. Polybase
In der Polymerterminologie ein Polyelektrolyt aus Makromolekülen mit Basengruppen auf einem erheblichen Teil der Baueinheiten.
Anmerkung: Am häufigsten handelt es sich bei den basischen Gruppen um Aminogruppen.
25. Polybetain
Ampholytisches Polymer mit Seitenkettengruppen vom Betain-Typ.
Anmerkung 1: Zur Definition einer Struktur vom Betain-Typ siehe Lit. 4.
Anmerkung 2: Ein Polybetain ist eine Art der zwitterionischen Polymere.
26. Polyelektrolyt
Polymer aus Makromolekülen, in denen ein wesentlicher Teil der Baueinheiten ionische oder ionisierbare Gruppen oder beide enthält.
Anmerkung 1: Diese Definition ist in Einklang mit Definition 1.65 in Lit. 3 und tritt an Stelle der in Lit. 4 gegebenen Definition.
Anmerkung 2: Die Bezeichnungen Polyelektrolyt, Polymerelektrolyt und polymerer Elektrolyt sollten nicht mit der Bezeichnung polymerer Festelektrolyt verwechselt werden.
Anmerkung 3: Polyelektrolyte können synthetische Substanzen oder Naturstoffe sein. Nucleinsäuren, Proteine, Teichonsäuren, einige Polypeptide und einige Polysaccharide sind Beispiele für natürliche Polyelektrolyte.
Synonyme: Polymerelektrolyt, polymerer Elektrolyt
27. Polyelektrolytkomplex
Neutraler Polymer-Polymer-Komplex aus Makromolekülen mit entgegengesetzt geladenen Ladungsträgern, die zu einer Bindung zwischen den Makromolekülen aufgrund elektrostatischer Wechselwirkungen führen.
Anmerkung: Ein Polyelektrolytkomplex wird auch Polysalz genannt. Die Verwendung dieses Begriffs wird nicht empfohlen.
28. Polyelektrolytnetzwerk
Ein Polymernetzwerk, das ionische oder ionisierbare Gruppen an einem wesentlichen Teil seiner Baueinheiten enthält.
Anmerkung 1: Ein Polyelektrolytnetzwerk wird manchmal vernetzter Polyelektrolyt genannt. Dieser Begriff sollte nur verwendet werden, wenn das Polyelektrolytnetzwerk durch das Vernetzen existierender Polyelektrolyt-Makromoleküle statt wie üblich durch nichtlineare Polymerisation entsteht. (Zur Definition von Vernetzung siehe Definition 1.59 in Lit. 3.)
Anmerkung 2: Im Unterschied zu einem Polyelektrolyten ist ein Polyelektrolytnetzwerk immer unlöslich, auch wenn ein Quellen oder Schrumpfen beim Eintauchen in ein Lösungsmittel autreten kann.
Anmerkung 3: Ein Polyelektrolytnetzwerk in Kontakt mit einer Salzlösung kann Gegenionen (Kationen oder Anionen) mit ionischen Spezies in der Lösung austauschen und als Ionenaustauscher fungieren. Deshalb wird ein Polelektrolytnetzwerk häufig als Ionenaustauschpolymer beschrieben.
29. Polymerelektrolyt
Siehe Polyelektrolyt.
30. Polymerer Elektrolyt
Siehe Polyelektrolyt.
31. Polymerer Festelektrolyt
Eine elektrisch leitende Lösung eines Salzes in einem Polymer.
Anmerkung 1: Ein Beispiel für einen polymeren Festelektrolyten ist die Lösung eines Lithiumsalzes in einer Poly(oxyethylen)-Matrix; die ionische Leitfähigkeit eines solchen Materials resultiert aus der Beweglichkeit der Lithiumkationen und ihrer Gegenionen in einem elektrischen Feld.
Anmerkung 2: Obwohl das Wort “fest” verwendet wird, kann es sich bei einem polymeren Festelektrolyten um eine Flüssigkeit handeln.
Anmerkung 3: Der Begriff polymerer Festelektrolyt sollte nicht mit dem Begriff polymerer Elektrolyt verwechselt werden.
Anmerkung 4: Siehe auch leitendes Polymerkomposit.
Synonym: fester Polymerelektrolyt
32. Polymeres inneres Salz
Siehe zwitterionisches Polymer.
33. Polysäure
In der Polymerterminologie ein Polyelektrolyt aus Makromolekülen mit Säuregruppen auf einem erheblichen Teil der Baueinheiten.
Anmerkung: Am häufigsten sind die Säuregruppen COOH, SO3H oder PO3H2.
34. Zwitterionisches Polymer
Ein ampholytisches Polymer, das entgegengesetzt geladene ionische Gruppen enthält, im Allgemeinen an denselben Seitenkettengruppen.