Otto S. Wolfbeis (1947–2023)
Graphical Abstract
Otto Wolfbeis, Professor emeritus für Analytical Chemistry an der Universität Regensburg, verstarb am 1. Juni 2023. Mit seinen bahnbrechenden Arbeiten auf dem Gebiet der optischen Sensoren und fluoreszierenden (Nano-)Materialien wird er als herausragender Forscher in Erinnerung bleiben, der viele Talente auf der ganzen Welt inspirierte.
Otto Wolfbeis (Abbildung 1) studierte in seiner Heimatstadt Graz in Österreich Chemie mit Schwerpunkt Organische Chemie und wurde 1972 promoviert. Es folgten Postdoc-Tätigkeiten am Max-Planck-Institut für Strahlenchemie in Mülheim an der Ruhr sowie der Technischen Universität Berlin. Zurück in Graz habilitierte Wolfbeis sich 1978 auf dem Gebiet der Synthese und den spektralen Eigenschaften neuer Fluoreszenzfarbstoffe und -sonden, was den weiteren Verlauf seiner wissenschaftlichen Karriere bestimmen sollte. In Graz war er unter anderem der Gründungsdirektor des Joanneums, ein Forschungsinstitut, das speziell für die Entwicklung optischer Sensoren eingerichtet wurde. 1994 eröffneten sich neue Möglichkeiten, als Wolfbeis einen Ruf auf eine Professur an die Universität Regensburg annahm und das ehemalige dritte Institut für Physikalische Chemie zu einem eigenen Lehrstuhl für Analytische Chemie, Chemo- und Biosensorik umbaute. Dieser Karriereschritt geschah zu einer Zeit, als die Biosensor-Bewegung einen Höhepunkt erlebte. Wolfbeis machte sein Institut zu einem der größten und produktivsten Institute für Analytische Chemie in Deutschland und leitete es bis zu seiner Emeritierung 2013. Die Möglichkeit, mit Wolfbeis zu arbeiten führten einen von uns (HG) – wie so viele andere – zur Universität Regensburg. Wolfbeis hatte mehrere Gastprofessuren inne: 1994 an der Tufts Universität in Medford, USA, 1995 an der Hebräischen Universität Jerusalem in Israel und 1998 an der Wuhan Universität in China.

Prof. Otto Wolfbeis, ein vorausschauender Wissenschaftler im Garten seines Hauses in Graz. Aufgenommen von seiner Frau Ingrid Wolfbeis.
Otto Wolfbeis’ akademische Errungenschaften waren vielfältig. Er gestaltete den Kurs der Universität Regensburg als Dekan der Fakultät, Mitglied des Senats und als Vize-Präsident. Als Forscher publizierte er mehr als 600 wissenschaftliche Arbeiten. Seine stark anwendungsorientierten Arbeiten legten 1998 die Grundlage für die Firma Presens, die Faser-optische Sensoren für Sauerstoff und andere Analyten entwickelt. Über lange Jahre wurde es zu einer Tradition, dass neugeprägte Doktoranden aus seinem Labor auf die andere Straßenseite der Universität wechselten, um ihre Arbeit bei der Firma Presens fortzusetzten. 2001 gründete Wolfbeis eine zweite Firma – Chromeon (jetzt Teil von Active Motif), um Fluoreszenzmarkierungen zu kommerzialisieren.
Von 2005 bis 2011 half er als Kuratoriumsmitglied der Angewandten Chemie, die Bandbreite der Veröffentlichungen um das Thema Fluoreszenzsensorik zu erweitern, was weiterhin einen stark expandierenden Forschungszweig darstellt.1 Außerdem gründete er die Springer Series on Fluorescence, die Springer Series on Chemical Sensors and Biosensors sowie Bioanalytical Reviews. Er war 2012 Mitbegründer der neuen Zeitschrift Methods and Applications in Fluorescence und lange Zeit Chefredakteur der Microchimica Acta, wobei er die Zeitschrift aus zu einem anerkannten Publikationsforum wiederbelebte. Als Netzwerker schmiedete Wolfbeis ein weltweites Netz von Wissenschaftlern und pflegte es durch die Initiierung von zwei Konferenzen: Methods and Applications in Fluorescence (1989) and Europt(r)ode (1992), die bis heute sehr erfolgreich sind und jedes Mal mehrere hundert Teilnehmer anziehen. Wolfbeis erhielt viele Auszeichnung in seinem Leben; hier möchten wir nur die Clemens-Winkler-Medaille der Gesellschaft Deutscher Chemiker im Jahre 2013 für sein Lebenswerk auf dem Gebiet der Analytischen Chemie hervorheben.
Obwohl sein eigentlicher Name Otto war, nannte er sich im Kreis seiner engen Freunde und Kollegen Samie. Als Fußballliebhaber sah er den wissenschaftlichen Wettbewerb oft wie ein Spiel um die Meisterschaft in der Bundesliga. Samie war sehr stolz auf seine Veröffentlichungen (mit einem h-index >100), es war ihm aber noch wichtiger, dass seine Innovationen Anwendungen in der Praxis fanden. Im Bewusstsein der allgegenwärtigen (physikalische) Sensoren in unserer modernen Welt – er betonte, dass jedes einzelne Auto mehr als 100 Sensoren enthält – sticht das Fehlen von Sensoren, die über lange Zeit hinweg kontinuierliche Messungen in der Chemie und Biologie ermöglichen, umso mehr hervor.2
In den frühen 1980iger Jahren waren chemische Sensoren und Biosensoren hautsächlich eine Angelegenheit der Elektrochemiker, die Elektroden mit chemisch selektiven Membranen und mit Enzymen modifizierten, um Biosensoren herzustellen.3 Samie und einige wenige andere, einschließlich einem von uns (DW), etablierten das Feld der optischen Sensoren, indem sie die Enden von optischen Fasern modifizierten und Fluoreszenz als Transduktionsmechanismus nutzten. Samies Hintergrund in organischer Chemie war eine gute Ausgangsposition für Innovationen auf dem Gebiet der optischen Sensorik. Seit der Mitte der 1980iger Jahre ermöglichten Fortschritte in der Oberflächenchemie, Fluoreszenzfarbstoffen, FRET und unterstützende instrumentelle Entwicklungen von Lasern, LEDs, CCDs und CMOs-Detektoren ein Aufblühen von optischen Sensoren, bzw. Optoden oder Optroden, wie Samie sie nannte. Viele bahnbrechende Beiträge stammten aus Wolfbeis’ Labor in Graz und später in Regensburg und werden heute von Forschern auf der ganzen Welt weitergeführt.
Mit enormer Arbeitsethik, starkem Willen, hoher Produktivität und Organisationsfähigkeiten verfolgte Wolfbeis folgende Ziele: (1) die Analytische Chemie aus dem traditionellen Umfeld der Anorganischen Chemie über die Fluoreszenzsensorik bis hin zu Anwendungen in der (biologischen) Bildgebung zu verschieben; (2) ein interdisziplinäres Netzwerk von Forschern aufzuspannen, das die ganze Welt umfasste; und (3) als Mentor das Interesse von jungen Forschern an der optischen Sensorik zu wecken, etwa durch die Initiierung der ASCOS-Treffen, die alle zwei Jahre für Studenten aus ganz Europa stattfinden. Alle diese Ziele verfolgte er getreu seinem Motto: “Tue Gutes und lasse alle davon wissen!”
Trotz seiner außerordentlichen wissenschaftlichen Leistungen war Samie bodenständig und genoss ein Maß auf der Dult, dem traditionellen Regensburger Volksfest, genauso wie guten Wein mit alten Freunden aus der Schulzeit und aus dem Studium in Graz. Er war stolz sowohl auf Graz als auch auf Regensburg, und es war ihm ein Vergnügen als Experte durch die lokale Geschichte und natürlich die Cuisine zu führen. Großzügig lud er seine ganze Arbeitsgruppe zu Abendessen, Weihnachtsfeiern, seiner Heimat in der Steiermark oder nach Grado in Norditalien ein, wo er ein Ferienhaus besaß. Er war ein Liebhaber der klassischen Musik und fand im Ruhestand schließlich Zeit, als (nicht-wissenschaftlicher) Schriftsteller das Buch die Rolinski-Tragödie zusammen mit seiner Nichte zu veröffentlichen. In den letzten Jahren lebte er zurückgezogen und hatte Freude an seinen beiden Hunden und der Arbeit im Garten. Samie hinterlässt seine Gattin Ingrid sowie vier Töchter – Gudrun, Claudia, Tina und Andrea.