Artikel
Hercule Poirots thermodynamisches Meisterstück?
Erlesene Chemie
Dr. Hans Bauer,
Prof. Klaus Roth,
Dr. Hans Bauer
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Prof. Klaus Roth
Correspondence: Prof. Klaus Roth, [email protected]Search for more papers by this authorDr. Hans Bauer,
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Prof. Klaus Roth
Correspondence: Prof. Klaus Roth, [email protected]Search for more papers by this authorFirst published: 21 February 2023
Graphical Abstract
Bereits in ihrem ersten Kriminalroman „Mysterious Affair at Styles“ erschuf Agatha Christie (1890–1976) den verschrobenen Privatdetektiv Hercule Poirot. Der sollte den plötzlichen Tod von Mrs. Emily Inglethorp aufklären, einer wohlhabenden Lady, die an Strychninvergiftung verstarb. Es sah nach einem perfekten Mord aus. „Mais pas pour Hercule Poirot!“. Mit seinen „kleinen, grauen Zellen“ konnte er den Fall lösen und versammelte am Ende die illustren Gäste im großen Salon des Landguts Styles Court und verkündete: „Mesdames, messieurs, darf ich Ihnen nun den Mörder vorstellen. Es ist …“
Literatur und Anmerkungen
- 1 The Mysterious Affair at Styles, A. Christie, 2007, HarperCollins Publishers, London. Deutscher Titel: „Das fehlende Glied in der Kette“, A. Christie, 2020, 2. Auflage, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg. Britische TV-Serie mit David Suchet als Hercule Poirot: Mysterious affairs at Styles: www.youtube.com/watch?v=QdFDgcKMF30Eine Familie steht unter Verdacht: www.youtube.com/watch?v=qrig9vkqNf8
- 2 Agatha Christie – Die Autobiographie, 2017, Atlantik Verlag, Hoffmann und Campe, Hamburg.
- 3 Die Liste ihrer literarisch eingesetzten Gifte ist so umfangreich, dass der Pharmakologe Michael.C. Gerald ein ganzes Buch darüber verfasst hat: The Poisonous Pen of Agatha Christie, M.C. Gerald, 1993, University of Texas Press, Austin, Texas.
- 4 Dame Agatha's Dispensary, E.B. Bardell, Pharm. Hist. 1984, 26 , 13. Agatha Christie, A Biography, J. Morgan, 1984, William Collins Sons & Co., Glasgow. „In a dispensary“ erschien 1925 in ihrem Gedichtband „The Road of Dreams“, dessen Druck A. Christie selbst finanzierte und der nur eine einzige Auflage erlebte. In ihrer Autobiographie blieb dieses Werk unerwähnt. www.onelimited.org/p-christie-01
- 5 Dieser 1907 erschienene Kriminalroman von Gaston Leroux (1868–1927) ist ein Klassiker der französischen Kriminalliteratur. Die darin steckende Idee eines Mordes in einem von innen abgeschlossenem Zimmer übernahm in A. Christie in ihren ersten Kriminalroman.
- 6 Wie Agatha Christie sich Ihren Poirot vorstellte und wie sie auf ihn kam, darüber plauderte A. Christie charmant in ihrer Autobiographie [(2)].
- 7 Agatha Christie erwähnt im Roman, dass der 17. Juli ein Montag war, im Zeitfenster der Entstehung des Romans trifft das nur für 1917 zu.
- 8 In keinem ihrer Bücher hat A. Christie Vergiftungssymptome so ausführlich, präzise und eindrücklich beschrieben wie in The Mysterious Affair at Styles.
- 9 Einige Nebenhandlungen und falsche Fährten werden hier übergangen.
- 10 Die damals übliche Dosierung von Kaliumbromid als Beruhigungsmittel: zwei- bis dreimal täglich 1 g, nicht mehr als 6 g je Tag. „Bei nervöser Schlaflosigkeit wirkt Brom sehr günstig durch allgemeine Herabsetzung der Erregbarkeit.“ Compendium der Pharmako-Therapie, O. Gross 1901, F.C.W. Vogel, Leipzig.
- 11 Menschen schmecken die Bitterkeit von Strychnin selbst in hohen Verdünnungen (< 1:100.000).
- 12 Poirot las aus „The Art of Dispensing – A Treatise on the Methods and Processes involved in Compounding medical Prescriptions“ vor. Dieses Standardwerk von Peter MacEwans erschien seit 1885 in vielen Auflagen. In Christies Krankenhaus-Apotheke dürfte die achte Auflage von 1912 oder deren unveränderter Nachdruck von 1915 gestanden haben.
- 13Regelkonforme IUPAC Namen für das früher verwendete „Bis(strychnin)sulfat“ sind Bis(strychninium)sulfat oder Bis(strychnin)sulfat bzw. für „Strychninbromid“ (Strychniniumbromid oder Strychninhydrobromid).
- 14 Anonyme Rezension, Pharm. J. Pharmacist, 1923, 57 , July 21, 81.
- 15 Bitter Nemesis, The intimate History of Strychnine, J. Buckingham, 2008, CRC Press, Boca Raton, Florida, USA.
- 16 Originalausschnitt aus dem Nachdruck von 1926 der ersten Edition von „The Mysterious Affair at Styles“, Seite 274.
- 17
Die angelsächsischen Maße sind eine Wissenschaft für sich. In diesem Artikel entsprechen alle Angaben dem seit 1864 verbindlichen britischen Apothekersystem ( British Pharmacopœia, 1864,
Spottisword & Co.,
London). gr. für grain (Gran) = 65 mg,
für drachm (Drachme) = 3,9 g,
für ounce (Unze) = 28,4 g,
für fl. ounce (flüssige Unze) = 28,4 ml. Die Anzahl der Maßeinheiten wurde in römischen Ziffern nachgestellt, Fiat mistura steht für „Mache eine Mischung“ und Aqua ad. für zugeben von Wasser bis zu …
- 18 Die Situation ist nicht hoffnungslos. Die Übersetzerin Tanja Handels hat es in dem Hörbuch „Das fehlende Glied in der Kette“ 2003, Der Hörverlag, richtig gemacht.
- 19 E. Kremers, J. Amer. Pharm. Assoc., 1927, 16 , 840. siehe auch: R. E. Southward et al., J. Chem. Educ. 1992, 69, 536; E.B. Bardell, Pharm. Hist. 1994, 36, 169.
- 20 1971 wurde Agatha Christie von Königin Elisabeth II. als Dame Commander in den Orden des Britischen Empire aufgenommen (DBE). Dieser persönliche und nichterbliche Adelstitel „Dame“ (männliche Form „Sir“) wird dem vollständigen Namen vorangestellt. Aus Agatha Christie wurde „Dame Agatha Mary Clarissa Christie, Lady Mallowan, DBE“, mit der üblichen Kurzform „Dame Agatha“.
- 21 G. Urdang, Pharm. History, 2016, 58 , 41.
- 22 The Practise of Pharmacy: A treatise, Joseph P. Remington, 1885, J. B. Lippincott. London. Dieses Lehrbuch war und ist ein Klassiker und erschien 2020 in der 23. Auflage. Die höchste Auszeichnung der American Pharmacists Association ist die Remington-Medaille.
- 23 A.B. Lyons, Detroit Med. J., 1877, 752; Am. J. Pharm., 1877, 504. Diese Publikation wurde in vielen internationalen pharmazeutischen Fachzeitschriften übernommen bzw. referiert.
- 24 Erst mit chemisch-analytischen Methoden konnte die Reinheit und der Gehalt von natürlichen Wirkstoffen in Pharmaprodukten bestimmt und garantiert werden. Ein unterschätzter, trotzdem Riesenfortschritt in der modernen Pharmaproduktion. M. L. Hoefle, Bull. Hist. Chem. 2000, 25 ( 1 ), 28.
- 25 G.B. Griffenhagen, Great Moments in Pharmacy, J. Am. Pharm. Assoc., 2002, 42 ( 2 ), 170.
- 26 Die gegenüber Remington geringere Menge Kaliumbromid in Agatha Christies Roman muss auf einem Übertragungs- oder Druckfehler beruhen. Anstelle von 27,3 mg = 7 drachms werden nur 23,4 g = 6 drachms zugesetzt. Eine pharmazeutisch wohl unbedeutende Änderung, die wir sicherheitshalber experimentell überprüft haben: Es fällt aus beiden Lösungen kein Niederschlag aus.
- 27 Die tödliche Dosis Strychnin für einen Erwachsenen liegt zwischen 60 bis 150 mg.
- 28 Beilsteins Handbuch der Organischen Chemie, E II, 27 , 731.
- 29 Löslichkeit von Kaliumbromid in Wasser: 678 g/L bei 20 °C. Zum Vergleich: Bis(strychnin)sulfat 29 g/L und Kaliumsulfat 111 g/L
- 30 Kaliumbromid wird als Antiepileptikum angewendet, wenn andere Medikamente nicht helfen. Die tägliche Gesamtdosis sollte auf keinen Fall 4 g übersteigen. www.gebrauchsinformation4-0.de/gi/kaliumbromid-desitin-r-850mg~018267/
- 31 In konzentrierten Elektrolytlösungen müssen die Konzentrationen durch Aktivitäten ersetzt werden. ai = fi ⋅ ci. Der Aktivitätskoeffizient eines Ions fi. (> 1) nimmt in komplexer Weise mit steigenden Konzentrationen aller in Lösung befindlichen Ionen ab. www.colloids.uni-freiburg.de/Lehre/bs/pc-ii/debye-huckel-theorie-1-leitfahigkeit-interionische-ww.pdf
- 32 I. Simon, Arch. Int. Pharmadyn. Therapy, 1927, 33 , 62. In dieser Studie wurde Natriumbromid zugegeben, man kann mit Kaliumbromid einen ähnlichen Kurvenverlauf erwarten.
- 33 Achtung! Die Konzentrationsangaben beider Achsen unterscheiden sich um den Faktor 1000. Die Löslichkeit von Strychninhydrobromid in Wasser wird durch Zugabe großer Mengen von Fremdionen erhöht. Dieser auf den ersten Blick unglaubhafte Effekt kann mit einem einfachen Lösungsversuch reproduziert werden (J. D. Willey, J. Chem. Educ. 2004, 81 , 1644): 1. Löse 0,7 g Calciumsulfat (CaSO4⋅2H2O) in 200 ml Wasser zu lösen (bleibt trüb). 2. Löse 0,7 g Calciumsulfat und 5,8 g Kochsalz in 200 ml Wasser zu lösen (wird klar).
- 34 Remington's Practice of Pharmacy, E. F. Cook, C. H. LaWall (eds.), 1936, 614.
- 35 Die Ausfällung von Strychnin durch basische Verunreinigungen des Kaliumbromids wurde bereits von Kremers [(19)] diskutiert.