Volume 54, Issue 3 pp. 142-143
Editorial
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Der Chemie eine Stimme geben

First published: 09 June 2020

Katharina Uebele ist das jüngste Vorstandsmitglied, das die GDCh (Gesellschaft Deutscher Chemiker) je hatte. Seit Beginn ihres Studiums war sie aktiv in die Arbeit der GDCh eingebunden. Über ihre Erfahrungen in der Gesellschaft, das Potenzial heterogener Netzwerke, wie wichtig die Interessen junger ChemikerInnen ist und was sie sich für die Zukunft der GDCh vorstellt, hat sie Vera Köster in einem Interview für ChemistryViews berichtet, das wir hier in deutscher Übersetzung in Auszügen abdrucken. Der vollständige Beitrag (auf englisch) kann hier nachgelesen werden: https://www.chemistryviews.org/details/ezine/11230115/.html

Was hat Sie zum Studium der Wirtschaftschemie inspiriert?

Ich hatte eine wirklich gute Chemielehrerin und mein Vater war Chemiker, deshalb wollte ich unbedingt in Richtung Chemie gehen. Allerdings von der Arbeit im Labor war ich nicht sehr begeistert. Stattdessen habe ich immer gerne Projekte organisiert und geleitet. Also entschied ich mich für die Wirtschaftschemie. Dort hat man die Möglichkeit, beide Studienrichtungen zu kombinieren – eine perfekte Kombination für mich, wie sich herausstellte.

Wie hat sich Ihre Karriere entwickelt?

Ich habe meinen Bachelor-Abschluss in Wirtschaftschemie an der Universität Kiel gemacht und während dessen in einigen Praktika auch Praxiserfahrung gesammelt. Für meinen Master-Abschluss bin ich an die Universität Münster gegangen. Während des Masterstudiums habe ich ein Auslandssemester an der University of York in Großbritannien verbracht; das war eine tolle Erfahrung. Dort habe ich mich auf Green Chemistry und nachhaltige Industrietechnologie spezialisiert. Nach meiner Rückkehr nach Deutschland habe ich ein weiteres Praktikum im Bereich der Beratung absolviert, bevor ich mit meiner Masterarbeit begonnen habe. Die machte ich in Kooperation mit Clariant zum Thema Nachhaltigkeit in der Entwicklung neuer Geschäftsfelder.

Und dieses Thema hat Sie zu Ihrer jetzigen Tätigkeit geführt?

Ja, genau. Ein Kontakt, den ich über mein GDCh-Netzwerk kennengelernt habe, war von meiner Arbeit bei der GDCh und auch der Leistungen während meines Studiums so überzeugt, dass er mich bat, mich ihm und seinem Team anzuschließen. So habe ich angefangen, in der Beratung zu arbeiten, mit dem Schwerpunkt Smart Manufacturing, was im Grunde alles umfasst, was mit der Digitalisierung im Produktionsbereich zu tun hat. Ich entwickle auch nachhaltigkeitsbezogene Themen, zum Beispiel, wie wir mit digitalen Technologien eine Kreislaufwirtschaft erreichen können. Für mich ist es wirklich großartig, diese Reise fortzusetzen, um für eine nachhaltigere Welt zu arbeiten und gleichzeitig die Möglichkeit zu haben, Industrieerfahrung zu sammeln.

Wie sind Sie mit der GDCh in Kontakt gekommen?

Eigentlich durch eine Glasbruchversicherung.

Das müssen Sie erklären!

Es ist eine Art Versicherung für das Labor, welche die GDCh mit einem Partner für ihre Mitglieder organisiert hatte. Wenn Ihnen ein Gegenstand aus Glas im Labor zu Bruch geht, kommt die Versicherung dafür auf. Als ich mein Studium begann, liefen Mitglieder des JungChemikerForums (JCF) in Kiel herum und sagten allen: „Macht bei uns mit, wir haben auch eine Glasbruchversicherung.“ Aber abgesehen davon waren sie auch wirklich leidenschaftlich an ihrer Arbeit mit dem JungChemiker-Netzwerk interessiert. Das hat mich motiviert während meines ersten Semesters der GDCh beizutreten.

Was war Ihre Motivation, sich in der GDCh zu engagieren?

Meine erste Motivation war immer die Interaktion im Netzwerk. Ich mochte die Arbeit des JCF und wie das Team zusammenarbeitete. Es war auch eine tolle Gelegenheit, mit den verschiedensten Leuten von der Universität und darüber hinaus in Kontakt zu kommen.

Dann haben wir zusammen mit einer der GDCh-Fachgruppen die JuWiChem, die Junge WirtschaftschemikerInnen, gegründet. Es gab eine große Nachfrage in unserem Studiengang, sich über das ganze Land zu vernetzen. Als fünfköpfiges Vorstandsteam begannen wir, Veranstaltungen und Konferenzen zu Themen zu organisieren, die Chemie und Industrie verbinden, wie Digitalisierung, Nachhaltigkeit oder Innovation. Wir hatten die Gelegenheit, mit einem leeren Blatt zu beginnen und alles selbst aufzubauen. Und wir hatten sehr viel Dynamik im Team, wie ein kleines Start-up.

Etwa zur gleichen Zeit waren wir als JCF Kiel auch Gastgeber des JCF-Frühjahrssymposiums. Dies ist die jährliche JCF-Tagung und eine der größten wissenschaftlichen Konferenzen für junge WissenschaftlerInnen in Europa. Ich habe die Aktivitäten des Konferenz-Teams vor Ort geleitet. Das war eine großartige Erfahrung für Teamarbeit, aber auch eine sehr einnehmende und intensive Zeit. Die Konferenz und die Gründung der JuWiChem gaben mir die Möglichkeit, über das, was an der Universität gelehrt wird hinaus, zu wachsen. Beispielsweise wie man in Teams arbeitet, wie man mit Konflikten, Stress oder komplizierten Menschen umgeht und wie man Projektmanagement betreibt.

Später wurde ich Mitglied des Vorstandes der GDCh-Fachgruppe Vereinigung für Chemie und Wirtschaft (VCW). Wir organisieren Tagungen zu für die chemische Industrie relevanten Themen und haben einen wirklich großartigen Netzwerkaustausch. Die JuWiChem sind der studentische Teil dieser Fachgruppe und wir konnten frischen Schwung und neue Ideen einbringen. Durch unsere Arbeit mit den Studierenden konnten wir, glaube ich, die Mitgliederzahl des VCW verdoppeln. Das bedeutete also eine echte Veränderung und eine Weiterentwicklung des VCW.

Wie wichtig ist es, dass auch die nächste Generation in die Arbeit der GDCh einbezogen wird?

Ich denke, das ist super wichtig. Es gibt viel Erfahrung in der GDCh unter den älteren Mitgliedern. Sie wissen, wie die Industrie funktioniert, und sie haben dieses sehr tiefe Wissen in der Wissenschaft. Wir haben aber als junge Generation die Möglichkeit, die Denkstrukturen ein wenig aufzubrechen, neue Ideen, Ansätze und Perspektiven einzubringen und uns als hochmotivierte Menschen zu engagieren. Wir haben viele junge ChemikerInnen, die sich wirklich einsetzen wollen, die etwas bewegen und die GDCh vorantreiben wollen.

Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen für die jungen Menschen in der GDCh?

Es gibt natürlich eine Menge Veränderungen. Ich glaube, das betrifft alle: die Industrie, die Wissenschaft und die Studierenden. Alles wird schneller. Wir haben Megatrends wie die Digitalisierung oder die Nachhaltigkeit. Das sind Themen, über die die jungen ChemikerInnen wirklich sprechen und sich engagieren wollen. Wir als GDCh müssen die besten Wege finden, diese große Energie in Projekte einzubringen.

Warum halten Sie Gesellschaften wie die GDCh für wichtig? Sie könnten Ihre Stimme zum Beispiel auch in sozialen Medien teilen oder andere Foren finden.

Ich denke, der Vorteil der GDCh ist, dass sie diverse Gruppen zusammenbringt. Die Heterogenität der Mitglieder und die Vielfalt ihres Netzwerks macht die GDCh so wichtig. Wir können die Chemie auf einer sehr ganzheitlichen Ebene vertreten. Wir haben viele Chemieexperten in unserem Netzwerk, wodurch wir aus unterschiedlichsten Perspektiven diskutieren und Meinungen abgeben können. Das ist etwas, was man alleine nicht erreichen würde, aber die GDCh kann es.

Wie wichtig ist für Sie der internationale Austausch?

Natürlich ist heute jedes Chemieunternehmen weltweit tätig, und auch die akademische Forschung ist ein sehr internationales Feld. Der weltweite Austausch und die internationale Vernetzung ist für die GDCh sehr wertvoll. Wir sind bereits sehr aktiv in Partnerschaften mit anderen Chemieverbänden rund um den Globus. Wir können alle voneinander lernen, uns über neue Ideen austauschen und uns gegenseitig inspirieren.

Wir hören immer wieder, dass viele studentische Mitglieder der GDCh nach dem Studium die Gesellschaft verlassen – vor allem diejenigen, die einen Arbeitsplatz in der Industrie finden. Das gilt auch für andere Gesellschaften. Wie könnte dieser Trend gestoppt werden?

Ich glaube, das ist historisch gewachsen. Heute haben wir ein wirklich starkes Netzwerk junger ChemikerInnen, das sehr unabhängig arbeitet und sich selbst verwaltet. Das JungChemikerForum ist etwa 20 Jahre alt. Es entstand aus dem Bedürfnis der jungen Mitglieder, sich mit ihren eigenen Themen zu befassen, sich als Studierende und Promovierende auszutauschen, Konferenzen zu organisieren, um ihre Arbeiten vorzustellen, und so weiter.

Was passiert, ist, dass sich jedes junge Mitglied mit dem JungChemikerForum sehr verbunden fühlt, aber nicht genug über die Arbeit der anderen GDCh-Teile und die Möglichkeiten, die sie bieten, weiß. Deshalb müssen wir uns enger mit den anderen GDCh-Gremien vernetzen und austauschen und umgekehrt, um dieses Problem zu verbessern. Daran arbeiten wir jetzt im Vorstand der GDCh: mehr junge Stimmen in die Kernarbeit der GDCh einzubringen und die Vielfalt des GDCh-Netzwerkes und den interdisziplinären Austausch zwischen den Generationen stärker zu nutzen.

Was motiviert Sie, in all diesen Gremien mitzuarbeiten?

Es ist eine sehr intrinsische Motivation. Mir gefällt, wofür die GDCh steht: Menschen zu verbinden, unterschiedliche Köpfe zusammenzubringen, der Chemie eine Stimme zu geben und Themen wie Nachhaltigkeit und Digitalisierung aus der Perspektive der Chemie voranzutreiben. Die GDCh ermöglicht es mir, diese Themen zu unterstützen. Gerade die Nachhaltigkeit ist ein Thema, das mir sehr wichtig ist und bei dem wir meiner Meinung nach noch viel aktiver werden müssen. Die GDCh ist für mich eine Plattform dafür.

Sie haben viel darüber gesprochen, was Ihnen gefällt. Gibt es Dinge, die Sie gerne ändern würden?

Unsere Stimme könnte viel stärker genutzt werden. Ich denke, die GDCh hat sich lange Zeit neutral verhalten. Ich verstehe, dass es kompliziert ist, sich zu sehr in der Politik zu engagieren. Aber es gibt eine Menge „Fake News“ da draußen, und die Leute hören nicht mehr auf bewährte Wissenschaft. An dieser Stelle müssen wir unsere Stimme erheben und der Gesellschaft die Fakten mitteilen. Wir müssen erklären, wie die Wissenschaft hinter den Themen aussieht, und den Menschen helfen, mehr Details zu verstehen. In dieser Richtung könnten wir viel mehr tun.

Es ist auch wichtig, nicht nur eine Meinung zu vertreten, sondern einen Diskurs zuzulassen, denn es gibt nicht immer richtig und falsch. Ich denke, diese Diskussionen sollten wir führen.

    Biography

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      Katharina Uebele hat Wirtschaftschemie studiert und ist Beraterin bei DuPont Sustainable Solutions in Düsseldorf, Deutschland. In der GDCh ist sie seit 2012 Mitglied und hat sich dort in vielen Positionen engagiert. Aktuell ist sie u.a. Vorstandsmitglied der Vereinigung für Chemie und Wirtschaft der GDCh. 2020 wurde sie in den Vorstand der GDCh gewählt.

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