Volume 52, Issue 6 pp. 366-367
Editorial
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Neugier und Entdeckerfreude – historische Experimente

First published: 03 December 2018

Das Unternehmen Merck blickt nunmehr auf 350 Jahre zurück – eine Reise entlang der 13 Generationen einer Familie. Gegründet 1668, ist Merck so das älteste pharmazeutisch-chemische Unternehmen der Welt und eines der führenden Wissenschafts- und Technologieunternehmen in den Bereichen Healthcare, Life Science und Performance Materials. Die Gründerfamilie ist bis heute Mehrheitseigentümerin des börsennotierten Konzerns.

Neugier ist Grundvoraussetzung wissenschaftlichen Experimentierens

Als Friedrich Jacob Merck 1668 die zweite Stadtapotheke in der Residenzstadt Darmstadt erwarb, waren die Naturwissenschaften im Aufbruch. Robert Boyle legte wichtige Grundlagen der modernen Chemie, so etwa als Wegbereiter des modernen Elementbegriffs. Gottfried Wilhelm Leibniz und Isaac Newton machten sich auf, Mathematik und Physik zu revolutionieren. Die Naturwissenschaften haben seitdem große Fortschritte gemacht und ebenso das Unternehmen Merck.

Neugier muss kultiviert werden

Die Jubiläumsfeierlichkeiten des Unternehmens Merck im Jahre 2018 standen unter dem verbindenden Motto „Neugier“. Dies nimmt nicht wunder, ist doch Neugier eine der Schlüsselfaktoren für unternehmerisches Überleben und Wachstum: Um über Jahrzehnte und Jahrhunderte zu wachsen, müssen Unternehmen wissenschaftliche Neuerungen erkennen und für sich nutzen, kleine Fortschritte ebenso wie Paradigmenwechsel. Neugier und die enge Verbindung zu den Naturwissenschaften spielen somit bei Merck schon seit den Anfängen des Unternehmens eine wichtige Rolle.

Neugier muss kultiviert werden. Aber: Was heißt Neugier eigentlich konkret? Gemeinsam mit Partnern aus der Wissenschaft ist Merck im Jubiläumsjahr dieser Frage nachgegangen und so wurde ein messbares Modell der Neugier entwickelt, das aus vier Komponenten besteht (1):
  1. Offenheit für neue Ideen – die Vorliebe für eine Vielzahl von Erfahrungen und Perspektiven.
  2. Wissbegierde – der Hang dazu, Fragen zu stellen und Ideen zu analysieren.
  3. Kreativität bei der Problemlösung – die Bereitschaft, neue Methoden auszuprobieren.
  4. Stresstoleranz – die Fähigkeit, allem Unbekannten mit Mut zu begegnen statt mit Angst.

„Neugier“ ist zugleich auch Grundvoraussetzung wissenschaftlichen Experimentierens: Anders als die „reine“ Beobachtung eines Vorganges verhilft das Experiment dem Wissenschaftler durch aktives Eingreifen zu einem Erkenntnisgewinn. Der Harvard Chemiker George M. Whitesides, zweifelsohne einer der einflussreichsten und meistzitiertesten Chemiker der letzten Dekaden, beschrieb seine ersten Erfahrungen mit der experimentellen Chemie anlässlich einer zum 350-jährigen Firmenjubiläum erschienenen Sonderausgabe der Zeitschrift Angewandte Chemie in seinem Essay „Neugier und Wissenschaft“ recht anschaulich (2):

„Als ich in etwa 10 Jahre alt war, erfuhr ich zufällig, dass Gummi schmilzt, wenn man ihn erhitzt. Das erschien mir interessant, und ich war neugierig herauszufinden, ob es stimmt. Um das zu tun, goss ich in der Garage meines Elternhauses ein wenig Benzin aus dem Rasenmäher in einen alten Autoreifen („Gummi“) und entzündete ihn mit einem Streichholz („Hitze“). Der Reifen fing Feuer. Ebenso die Garage. Die Feuerwehr kam und kurz danach war alles wieder in Ordnung. Meine Eltern erwähnten das Ereignis nie wieder – sie gingen davon aus, dass Buben Schwierigkeiten machen und dass man nichts dagegen unternehmen könnte. Ich merkte mir dabei, dass Gummireifen nicht schmelzen, jedoch brennen können. Außerdem wurde mir klar, dass Neugier in unvorhergesehene Richtungen führt“.

Anlässlich des 350. Jubiläums des Unternehmens Merck wurde die Idee zu einer „Darstellung der Meilensteine der Chemie“ in Form einer Broschüre geboren. Für jede der 13 Generationen der Familie Merck wurde eine repräsentative, für die jeweilige Zeit (chemie- oder pharmazie-historisch) bedeutsame Substanz ausgewählt, deren chemische und/oder physikalische Eigenschaften in einem möglichst einfachen Experiment sichtbar gemacht werden. Zudem wird die ökonomische und kulturelle Bedeutung der jeweiligen Substanz sowie deren Einbettung in den jeweiligen ideengeschichtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Kontext stichpunktartig skizziert.

Die in der Broschüre dargestellten Experimente repräsentieren dabei allenfalls indirekt die historische Entwicklung des Unternehmens Merck – diese kann in vielfältigen Publikationen studiert werden. Es ist vielmehr die Absicht, Entwicklungen in der Chemie zu illustrieren. Diese Meilensteine sind durchaus im ursprünglichen Wortsinn als örtliche Raster oder Entfernungsanzeiger zu verstehen. Hier sprechen wir freilich von einer Reise durch die Zeit. Als zeitliches Raster dient dabei der Bezug zu den Generationen, die das Familienunternehmen prägen. Der Verweis auf die Generationen wird gewählt, um zu würdigen, dass Merck seit 350 Jahren Kompetenz, Neugier, Bereitschaft zum Wandel, aber auch zur Kontinuität erfolgreich lebt (3).

Unternehmen entwickeln sich jedoch nicht im Vakuum, ihre Entwicklung ist vielmehr eingebettet in das kulturelle und wissenschaftliche Umfeld. Für das Unternehmen Merck, das sich heute als ein Wissenschafts- und Technologieunternehmen versteht, soll hier die Perspektive auf die Entwicklung der Chemie – und später auch der Pharmazie – als Wissenschaft gelenkt werden. Chemie war seit ihren Anfängen eine Kulturleistung. Die Anfänge der Chemie liegen seit prähistorischer Zeit in allen Tätigkeiten, die wir heute als Veränderung von Stoffeigenschaften ansehen, also etwa die Tätigkeiten des Gerbens, Färbens, Destillierens, Konservierens, Mischens und Brennens. Zusammenfassend geht es dabei um Werkstoffe, Wirkstoffe und Brennstoffe, die vom Anfang menschlicher Zivilisation bis heute das „Chemische“ im menschliche Handeln betreffen. Chemiker und Chemikerin beherrschen die „Kultivierung“ des Umgangs mit der stofflichen Welt. Diese erwerben sie als Mitglieder einer menschlichen Gemeinschaft, die nicht in jeder Generation vom Urzustand des Steinzeitmenschen aus neu beginnt, sondern auf der Kulturhöhe, welche die Menschen zu ihrer jeweiligen Zeit erreicht haben (4).

Die Versuche illustrieren die sich wechselseitig beeinflussenden Entwicklungen. Sie sollen zudem erfahrbar machen, dass Chemie eine experimentelle (!) Naturwissenschaft ist und den Wert von Experimenten bei ihrer Vermittlung unterstreichen: Auch im Zeitalter der „Digitalisierung der Schule stellen sie wertvolle Primärerfahrungen dar, um die doch zunächst unanschauliche Chemie mit ihren für unser Auge unsichtbaren Objekten auf einfache Weise erfahrbar zu machen. Wichtig bei der Auswahl war die sichere Durchführbarkeit im schulischen Bereich bei geringem Zeitbedarf für Vorbereitung und Ausführung sowie Verwendung leicht verfügbarer Chemikalien.

Die Broschüre Historische Experimente der Chemie können Sie beim Bereich Merck Schulpartnerschaften unter der E-Mail Adresse [email protected] anfordern oder unter www.chiuz.de bei diesem Editorial als Supporting Information herunterladen.

Wir wünschen Ihnen die wissenschaftliche Neugier, die Experimente zu starten, den Erfolg während ihrer Durchführung und den Genuss des damit verbundenen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns.

Klaus Griesar

Lesetipp

Die Broschüre mit einfachen historischen Experimenten, die einen Bezug zur Geschichte der Firma Merck und den 13 Generationen der Familie herstellen, kann hier heruntergeladen werden (auf Supporting Information klicken):

Sonderausgabe der Zeitschrift Angewandte Chemie anlässlich des 350-jährigen Firmenjubiläums von Merck:

Biography

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    Prof. Dr. Klaus Griesar leitet die Abteilung Science Relations bei Merck KGaA Darmstadt, Germany. In sein Ressort fallen die weltweiten strategischen Partnerschaften und Kooperationen mit Universitäten, Start-ups und Forschungsinstituten sowie die Analyse von wissenschaftlichen und technologischen Megatrends sowie der Bereich Schulpartnerschaften.

    Seine Laufbahn in der Industrie begann bei SKW Trostberg; seit 2000 ist er bei Merck KGaA, tätig. 2011 erhielt er eine Honorarprofessur an der TU Darmstadt. Er ist Mitglied zahlreicher Kommissionen, unter anderem als Vorsitzender der „Vereinigung für Chemie und Wirtschaft“ sowie als Mitglied im Kuratorium der Zeitschrift „Angewandte Chemie“.

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