Volume 128, Issue 14 pp. 4446-4447
Editorial
Free Access

Biokatalyse: ein erfolgreicher Blick über den Tellerrand

Prof. Dr. Uwe T. Bornscheuer

Corresponding Author

Prof. Dr. Uwe T. Bornscheuer

Abt. Biotechnologie & Enzymkatalyse, Institut für Biochemie, Universität Greifswald, Felix-Hausdorff-Straße 4, 17487 Greifswald, Deutschland

Search for more papers by this author
First published: 07 December 2015
Citations: 6

Graphical Abstract

Die Erzeugung robuster Biokatalysatoren mit gewünschten Eigenschaften war früher eine Herausforderung. Heute sind Kenntnisse in Bioinformatik, Protein-Engineering, Hochdurchsatz-Screening, Molekularbiologie – neben Biokatalyse und Erfahrung in der organischen Synthese – die Schlüsselkompetenzen zum Auffinden, Entwickeln und Etablieren neuer Syntheserouten …” Lesen Sie mehr im Editorial von Uwe T. Bornscheuer.

Seit über einem Jahrhundert werden Enzyme bei der Nahrungsmittelproduktion und seit langem auch als Zusatz bei Waschmitteln sowie besonders in der Chemie zur Synthese von pharmazeutischen Bausteinen, Aromastoffen und Polymeren vielseitig genutzt. Bis in die 1980er Jahre, als die Gentechnik zu einer Standardmethode entwickelt wurde, basierte Biokatalyse auf der Isolierung von Enzymen aus natürlichen Quellen (Mikroorganismen, tierisches Gewebe, Pflanzen), und die Eigenschaften dieser Enzyme konnten kaum verändert werden; zu jener Zeit wurde meist nur die Immobilisierung zur Erhöhung der Stabilität und für das Recycling genutzt. Die Fähigkeit, Gene nunmehr identifizieren und klonieren zu können, sowie die rekombinante Herstellung der Enzyme in einem Wirtsorganismus erlaubten nicht nur, sie in großem Maßstab in verlässlicher Qualität herzustellen, sondern ermöglichten es vor allem, sie durch Protein-Engineering (rationales Design oder gerichtete Evolution “im Reagenzglas”) zu optimieren. Trotz dieser Errungenschaften war die Erzeugung robuster Biokatalysatoren mit gewünschten Eigenschaften immer noch eine Herausforderung, zeitraubend und arbeitsintensiv. Dies lag am mangelnden Verständnis, wie ein Enzym am besten rational geplant wird, oder an der Notwendigkeit, riesige Mutantenbibliotheken durchmustern zu müssen. Diese Situation hat sich in neuester Zeit drastisch geändert. image

Sequenzdatenbanken erleichtern die Entdeckung von Enzymen

Dank der preisgünstigen und sehr schnellen Methode der Pyrosequenzierung hat die Zahl an Proteinsequenzen, die in öffentlichen Datenbanken wie dem National Center for Biotechnology Information (http://www.ncbi.nlm.nih.gov) frei zugänglich sind, enorm zugenommen (derzeit ca. 52 Millionen Einträge). Beispielsweise wurde vor kurzem in Nature die Identifizierung von 8 kompletten und 789 Teilgenomen beschrieben, die aus einer einzigen Grundwasserprobe stammten. Dank dieser leicht verfügbaren Informationen können nunmehr neue Enzyme einfach am Computer identifiziert werden, und folglich können Wissenschaftler sehr rasch das Spektrum potenziell nützlicher Biokatalysatoren erweitern.

Computer-basiertes Design von Enzymen

Fortgeschrittene Bioinformatikwerkzeuge ermöglichen es nicht nur, Proteinsequenzen innerhalb sehr großer Enzymsuperfamilien einfacher zu analysieren. In Kombination mit der stetig wachsenden Zahl an 3D-Strukturen (derzeit ca. 110 000) ist über rationales Proteindesign auch die Möglichkeit gegeben, smarte Mutantenbibliotheken zu generieren, bei denen die Chance deutlich höher ist, gewünschte Varianten zu identifizieren. Das hat zur Folge, dass es nun viel einfacher und vor allem schneller gelingt, für die Biokatalyse sehr wichtige Aspekte wie Substratspektrum, Stereoselektivität oder Art der katalysierten chemischen Reaktion anzugehen. Parallel dazu wurden die notwendigen Computerprogramme in jüngster Zeit wesentlich genauer in der Vorhersage und vor allem einfacher in der Anwendung. Heutzutage erlauben diese Programme sogar das Design von völlig neuen Enzymen aus dem “Nichts”, was nicht nur die Bandbreite enzymkatalysierter Reaktionen erweitert, sondern uns auch wichtige grundlegende Erkenntnisse zur Biochemie der Enzyme, wie mechanistische Details oder Einblicke in die Proteinfaltung, vermittelt.

Kombination von Chemo- und Biokatalyse

Über Jahrzehnte entwickelten sich die übergangsmetallkatalysierte homogene Katalyse und die Organokatalyse unabhängig von der Biokatalyse. Ausnahmen waren die Anwendung von Pd-, Ru- oder Rh-basierten Racemisierungen für dynamische kinetische Racematspaltungen zur Synthese chiraler Alkohole oder Amine mit Lipasen. In jüngster Zeit gelang es Forschern, Chemokatalysatoren und Enzyme gemeinsam in mehrstufigen Eintopfreaktionen einzusetzen. Eine große, bislang nicht leicht zu lösende Aufgabe ergibt sich hier oft aus der Inkompatibilität der Reaktionsbedingungen und der wechselseitigen Beeinflussung der Reagentien, die für den chemischen und den enzymatischen Schritt im gleichen Reaktionsraum vorliegen. Dies erschwert das Erreichen des Ziels, beide Schritte schnell, mit hoher Selektivität und in hoher Ausbeute ablaufen zu lassen. Derzeit untersuchte Auswege sind die Kompartimentalisierung der Reaktionen und die Durchführung als Flusschemie, bei der chemische und enzymatische Reaktion nacheinander erfolgen. Ob diese Methode mit klassischen Verfahren in einfachen Reaktoren bezüglich ihrer Produktivität konkurrieren kann, muss aber erst noch gezeigt werden.

Mehrschritt-Biokatalyse oder metabolisches Engineering?

Ein weiter wichtiger Trend ist die Kombination mehrerer Enzyme, die ausgehend von einfachen Substraten “Hand in Hand” Kaskadenreaktionen ermöglichen, in denen dank der exzellenten Chemo-, Regio- und Stereoselektivität komplexe Produkte – die nicht als übliche Metabolite vorkommen – gebildet werden können. Prinzipiell genügt einfach das Zusammengeben der gewünschten Enzyme. Dabei kann es sich um mehrere isolierte Enzyme, um einen Rohextrakt aus den Zellen eines mikrobiellen Wirts, in dem die Enzyme produziert wurden, oder um ruhende Zellen handeln. Alternativ kann ein Wirtsorganismus durch metabolisches Engineering geschaffen werden, in dem unter Steuerung des Metabolismus zum gewünschten neuen Produkt alle erforderlichen Reaktionsschritte in einer lebenden (mikrobiellen) Zelle erfolgen, bevorzugt unter Einsatz leicht verfügbarer und preiswerter Kohlenstoffquellen. Bei beiden Konzepten besteht die Herausforderung darin, dass die zu nutzenden Enzyme hinsichtlich der bevorzugten pH- und Temperaturprofile zueinander passen, aber auch dass die spezifischen Aktivitäten und Stabilitäten ausgewogen sein müssen, während Inhibierungen zu vermeiden sind. Ob man sich für Mehrschritt-Biokatalyse oder für metabolisches Engineering entscheidet, hängt von einer ganzen Reihe an Faktoren ab, z. B. von der Cofaktorabhängigkeit, der Toleranz des Mikroorganismus gegenüber den Intermediaten und dem Endprodukt – vor allem bei hohen Konzentrationen –, dem gesamten Verfahrenskonzept und der Aufarbeitungsstrategie. Dieses Forschungsgebiet hat sich enorm entwickelt, und zahlreiche Beispiele können in der aktuellen Literatur gefunden werden. Beispielsweise wurden Mehrschritt-Biokatalysen zur Synthese sowohl von Polymervorstufen wie ɛ-Caprolacton oder ω-Aminocarbonsäuren als auch von pharmazeutischen Intermediaten wie Ephedrin und dessen Derivaten beschrieben. Metabolisches Engineering ermöglichte nicht nur die Herstellung von 1,3-Propandiol, die im industriellen Maßstab bereits vor ca. einem Jahrzehnt etabliert wurde, sondern auch von 1,4-Butandiol in der Hefe Yarrowia lipolytica oder vom Antimalaria-Wirkstoff Artemisinin, der in einem optimierten Saccharomyces-cerevisiae-Stamm produziert wird, um nur zwei aktuelle Beispiele zu nennen.

Neue chemische Reaktionen

In den 1980er und 1990er Jahren wurden meist Lipasen, Ketoreduktasen, Proteasen, Aldolasen und Hydroxynitrillyasen als Biokatalysatoren eingesetzt. Eine erhebliche Einschränkung war, dass kaum weitere Enzymklassen verfügbar waren, selbst wenn sie als präparativ nützlich beschrieben worden waren. Heute können solche Biokatalysatoren rekombinant hergestellt werden, und Protein-Engineering kann genutzt werden, sodass Forscher nun Enzyme entwickeln können, die in der Natur unbekannte für die organische Synthese nützliche Reaktionen katalysieren. Jüngstes Beispiel ist die Entwicklung eines Enzyms ausgehend von einer P450-Monooxygenase, mit dem Cyclopropylderivate oder Aziridine aus Styrol statt aus dem erwarteten Epoxid hergestellt werden können. Ein sehr interessantes Feld ist die Entwicklung künstlicher Metalloenzyme durch den Einbau von Übergangsmetallkomplexen in Proteingerüste. Die zu Beginn noch niedrige Aktivität und Selektivität kann durch die Entwicklung von Varianten mit akzeptablen Umsatzzahlen mit Methoden des Protein-Engineering verbessert werden. Ein weiteres Beispiel ist die Erzeugung einer Amindehydrogenase aus einer α-Aminosäuredehydrogenase als einen für die Synthese chiraler Amine sehr nützlichen Biokatalysator. Zusätzlich können, sobald eine neue Enzymaktivität gefunden wurde, durch die Suche in Proteinsequenzdatenbanken rasch verwandte mutmaßliche Enzyme identifiziert werden. Diese können einfach mithilfe preiswerter synthetischer Gene in Wirtsorganismen wie E. coli hergestellt und auf ihre Eigenschaften untersucht werden. Ein aktuelles Beispiel ist der Aufschwung bei Iminreduktasen (IREDs), die sehr nützlich bei der Synthese von chiralen sekundären und tertiären (R)- und (S)-Aminen sind. Den ersten Arbeiten zur Identifizierung der entsprechenden Enzyme durch klassisches Screening mikrobieller Stämme folgte innerhalb kurzer Zeit durch Forscher aus Hochschule und Industrie die Identifizierung einer Vielzahl neuer IREDs in Sequenzdatenbanken, die zudem ein deutlich breiteres Substratspektrum als die ursprünglichen Enzyme aufweisen.

Diese bedeutenden Entwicklungen in der Biokatalyse haben erhebliche Konsequenzen für die beteiligten Wissenschaftler. Die notwendigen Technologien und Qualifikationen unterscheiden sich erheblich von denen der klassischen Biokatalyse, als immobilisierte Enzyme von kommerziellen Herstellern – vereinfacht ausgedrückt – in den Kolben gegeben und gerührt wurden, bis die Reaktion abgelaufen war. Heute sind Kenntnisse in Bioinformatik, Protein-Engineering, Hochdurchsatz-Screening, Molekularbiologie – neben Biokatalyse und Erfahrung in der organischen Synthese – die Schlüsselkompetenzen zum Auffinden, Entwickeln und Etablieren neuer Syntheserouten. Daher verlangt erfolgreiche moderne Biokatalyse gemeinsame Anstrengungen eines interdisziplinären Teams oder intensive Kooperationen innerhalb eines Forschungsnetzwerks. Was noch fehlt, ist eine bessere Interaktion und Kommunikation zwischen Wissenschaftlern, die in der Biokatalyse und der chemischen Katalyse aktiv sind, um die Entwicklung neuer Reaktionen aus beiden Welten anzukurbeln.

    The full text of this article hosted at iucr.org is unavailable due to technical difficulties.